Die Stadt im Umweltverbund

Ein flächensparendes und umweltverträgliches Siedlungsmodell
Ernst Lung, Rainer Mayerhofer, Franz Skala

Das wichtigste Ziel der Siedlungsplanung muß darin bestehen, nachhaltige Lösungen zu finden und Bedingungen zu schaffen, unter denen sich die Bewohner wohl fühlen.

Großen Einfluß darauf haben die Auswirkungen aller angewendeten technischen Lösungen, unter denen der Verkehr eine wesentliche Rolle spielt. Die Wahl des Verkehrssystems hängt eng mit der Siedlungsstruktur zusammen.

Um das Ziel eines nachhaltigen Stadtverkehrs zu erreichen, muß eine dafür geeignete Siedlungsstruktur gefunden werden. Die Bedingungen der Nachhaltigkeit erfüllen am besten die Fortbewegungsarten im Umweltverbund - Gehen, Radfahren und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.


Entwicklungsachsen - das Schwerpunkt-Achsen-Prinzip

Eine lineare Siedlungsentwicklung entlang einer Achse stellt die Alternative zum ungeordneten flächenhaften Wachstum der Ballungsräume dar und begünstigt die Erschließung durch eine Linie des öffentlichen Verkehrs. Dafür sind zwei Möglichkeiten bekannt:

 

Das bereits vor 1900 von dem Spanier Arturo Soria y Mata entwickelte Modell einer Bandstadt sieht einen durchgehend bebauten, rund 500 m breiten Streifen mit einer Straßenbahn in der Mitte vor, der beispielsweise mehrere Kleinstädte miteinander verbindet.1

 

Beim Schwerpunkt-Achsen-Prinzip werden in kleineren Abständen entlang einer Entwicklungsachse kompakte, voneinander abgegrenzte Siedlungseinheiten um eine Haltestelle des öffentlichen Verkehrs im Zentrum angeordnet (Siedlungskette) wie zum Beispiel die neuen Vororte entlang der U-Bahn in Stockholm.


Im Gegensatz zur Bandstadt mit einer starken Trennwirkung in der Landschaft bleiben bei Siedlungsketten Grünverbindungen zwischen den einzelnen Siedlungen erhalten und die abgegrenzten Einheiten erleichtern eine ausgewogene Zuordnung der Nutzungen sowie die Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohnort.


Die Konzentration der zukünftigen Bautätigkeit in kompakten Siedlungseinheiten, die als neue Schwerpunkte zwischen den bestehenden Orten in eine Siedlungsachse eingefügt werden, erhöht das Fahrgastpotential und ermöglicht einen wirtschaftlichen Betrieb des Linienverkehrs mit einem attraktiven Angebot. Eine gleichmäßige Verteilung der Nutzungen, insbesondere von Wohnungen und Arbeitsplätzen, auf die Siedlungseinheiten ermöglicht eine gleichmäßige Auslastung in beiden Richtungen.

Die so entstehende Siedlungskette kann auf einer bestehenden Regionalbahnstrecke (die meist aber nicht optimal trassiert ist) oder auf einer durch die Ortszentren geführten Neubau-strecke durch eine Stadtbahn für den Nahverkehr (etwa nach dem Vorbild von Karlsruhe) erschlossen werden. Diese sollte an einer Stelle an das Bahnnetz angebunden sein.

Mit der Stadtbahn könnte auch außerhalb der Ballungsräume neben dem Fern- und Regionalverkehr der Bahn ein zusätzliches Angebot für den Nahverkehr im Schienennetz geschaffen werden. Einige Beispiele gibt es im Umland von Berlin wie die Gemeinde Schöneiche (9 640 Einwohner), die durch eine gemeinsam mit der Gemeinde Rüdersdorf und den Landkreisen betriebene Straßenbahn an das S-Bahnnetz von Berlin angebunden ist.2

Das Schwerpunkt-Achsen-Prinzip bietet also die besten Voraussetzungen für Verkehrs-lösungen im Umweltverbund: innerhalb der Siedlung für Fußgänger und Radfahrer und in den Außenbeziehungen für den öffentlichen Verkehr.

Die Stadt der kurzen Wege durch Nutzungsmischung

Die einzelnen Einheiten einer Siedlungskette (Schwerpunkte) sind von der Einwohnerzahl her so ausgelegt (ca. 5.000 - 10.000 Einwohner), daß sie einerseits die Anordnung wirtschaftlich tragfähiger Einrichtungen für alle wesentlichen Funktionen erlauben (Untergrenze), andererseits eine fußläufige Erreichbarkeit aller dieser Einrichtungen garantieren (Obergrenze).

Aus der Vorgabe, alle Wege innerhalb der Stadt in max. 15 Minuten zu Fuß zurücklegen zu können, ergibt sich ein Durchmesser des Siedlungsgebietes von etwa 1,0 bis 1,2 km. Die dafür erforderlichen kompakten Siedlungseinheiten mit maßvoll verdichteter mehrgeschoßiger Bebauung, bei denen die Bebauungsgrenze strikt eingehalten wird, erfüllen das Ziel der Flächeneinsparung.

NutzungsmischungDie Stadt der kurzen Wege ist ein wichtiges Ziel einer ökologischen Stadtentwicklung und Verkehrspolitik. Eine ausgewogene bauliche Nutzungsmischung schafft die Voraussetzungen dafür. Wirksam werden diese aber erst, wenn das Angebot der räumlichen Nähe von Wohnungen, Arbeitsstätten, Läden und Freizeiteinrichtungen von den Menschen auch angenommen wird.

Dabei spielt ein ausgewogenes Verhältnis von Wohnungen und Arbeitsplätzen zur Vermeidung von Pendlerbewegungen die Hauptrolle. Um dieses zu erreichen, ist eine Weiterentwicklung des Instrumentariums für die Vermittlung von Wohnungen und Arbeitsplätzen zu einer untereinander koordinierten Vermittlung beider erforderlich.

Durch eine bessere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen, für die Vermittlung von Wohnungen und Arbeitsplätzen zuständigen Stellen wie Wohnbauträger, Immobilienmakler, Arbeitsmarktservice usw. sollte eine weitere sinnvolle Vernetzung der dort bereits gespeicherten Daten möglich sein, die etwa in einer gemeinsamen Informations- und Vermittlungs-stelle für Wohnungen und Arbeitsplätze einen Überblick über die vorhandenen Angebote in einer Region schafft. Die große Auswahl erhöht die Chancen für den Einzelnen, eine Wohnung bzw. einen Arbeitsplatz in geringer Entfernung voneinander zu finden.

Wesentlich ist bei der Nutzungsmischung die Abstimmung des Infrastrukturangebotes der an der Entwicklungsachse gelegenen Siedlungen aufeinander, sodaß benachbarte Siedlungen einander ergänzen.

Der bearbeitete Planungsraum sollte überschaubar gehalten werden. Ein kleines Gebiet entspricht auch dem angestrebten Ziel der kurzen Wege. Es muß aber auch groß genug sein, um eine Nutzungsvielfalt zu ermöglichen. Diese Bedingungen könnte ein Planungsraum erfüllen, der einen zentralen Ort und sein Umland umfaßt (beispielsweise ein politischer Bezirk).

Bei allen Einrichtungen soll einerseits eine größtmögliche Dezentralisierung - soweit sie wirtschaftlich sinnvoll ist - angestrebt werden, andererseits ist zur Optimierung von Weglängen und zur Nutzung von Synergieeffekten eine gewisse Konzentration erforderlich. Dies wird in Form der dezentralen Konzentration erreicht.

Als wichtige Rahmenbedingung ist eine ausgewogene Bevölkerungsstruktur erforderlich - alle Altersgruppen und sozialen Schichten sollten vertreten sein. Damit wird die Entstehung eines sozialen Klimas der Verantwortung und Solidarität unterstützt.

Standorte der städtischen Einrichtungen

Die räumlichen Verteilung der Einrichtungen für alle städtischen Funktionen (die gleichzeitig alle Arbeitsstätten der Siedlungseinheit umfassen) orientiert sich an der optimalen Belieferung mit Gütern, an der Erreichbarkeit für die Benützer und an der Häufigkeit der Nutzung.

Insbesondere sollen Einrichtungen mit Transportbedarf für große Warenmengen und/oder schwere Produkte an der Hauptachse - der Trasse eines Schienenverkehrsmittels - liegen (Handelsbetriebe innerhalb der Siedlung, produzierendes Gewerbe am Stadtrand), um Belastungen durch den Güterverkehr zu minimieren. Bei allen anderen Einrichtungen steht der Personenverkehr als Standortkriterium im Vordergrund - die nur einmal in der Siedlungseinheit erforderlichen Einrichtungen (Schule, Veranstaltungssaal usw.) bilden das Zentrum, um für alle Bewohner möglichst gleich gut erreichbar zu sein, die häufiger benötigten Einrichtungen (täglicher Bedarf) sind in Subzentren oder an einer Nebenachse zusammengefaßt.

Auf der dezentralsten Ebene sind den Wohnbauten insbesondere Freizeit- und Erholungs-einrichtungen (Spiel- und Sportplätze, Gemeinschaftseinrichtungen, kleinere Grünanlagen) flächig zugeordnet.

Infolge der geringen Ausdehnung der Siedlungseinheit ist der Zugang zu den - natürlichen oder gestalteten - übergeordneten Grünräumen fußläufig ab der Bebauungsgrenze gegeben.

(siehe Tabelle)

Hohe Mobilität mit dem Verkehr im Umweltverbund

Diese Siedlungsstruktur ermöglicht den Bewohnern eine hohe Mobilität, weil infolge der geringen Entfernungen zwischen Einrichtungen, die häufig aufgesucht werden müssen, viele kurze Wege miteinander gekoppelt werden können.

Der Personenverkehr innerhalb der Siedlungseinheiten wird von Fußgängern dominiert, denen ein zusammenhängendes, dichtes Wegenetz zur Verfügung steht, das sichere und weitgehend ungestörte Fortbewegung auf kürzesten Wegen ermöglicht. Zumindest die Hauptverbindungen sollen auch Wetterschutz bieten (schattenspendende Bäume sowie Regenschutz in Arkaden oder Passagen). Insbesondere die im Siedlungszentrum liegende Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels (Stadtbahn) ist optimal zugänglich. Sie bietet auch zahlreiche Dienstleistungen im Rahmen einer Mobilitätszentrale an (Fahrplanaus-künfte, Disposition bedarfsorientierter Verkehrssysteme in der Region, Fahrrad- und eventuell Autovermietung, ...).

Der öffentliche Verkehr sollte als integriertes System - mit Bahn, Schnellbahn, Stadtbahn, Regionalbus, Ortsbus, Anruf-Sammel-Taxi - von 6 bis 24 Uhr zwischen allen Siedlungsteilen einer Region - von der Stadt als zentralem Ort bis zum kleinsten Dorf - Fahrmöglichkeiten anbieten.

Daneben werden nur wenige Fahrzeuge benötigt: Fahrräder, Transporträder, nur für die zugelassene Geschwindigkeit (Tempo 30) ausgelegte Kraftfahrzeuge für die Müllsammlung, Zustellung von Gütern usw..

Viele für den Güterverkehr notwendigen Innovationen sind in neuen Konzepten für die Citylogistik bereits enthalten. Insbesondere das Güterverteilzentrum, dessen Hauptaufgaben logistische Dienste, Lagerhaltung und die Verteilung der mit der Bahn und (zu einem nur kleinen Teil) mit LKWs angelieferten Güter in einer nachhaltigen Siedlung sind. Für die Belieferung der Handelsbetriebe und die Zustellung schwerer Waren (Möbel, Elektrogeräte, etc.) zu den Kunden müßten noch stadtverträgliche Kleintransporter (etwa Elektrofahrzeuge) entwickelt werden.

 

Zusammenfassung

Kompakte Siedlungseinheiten mit strikt eingehaltenen Bebauungsgrenzen machen das Siedlungsmodell flächensparend. In Verbindung mit einer ausgewogenen Nutzungsmischung entstehen die erwünschten kurzen Wege. Die Verknüpfung der Siedlungseinheiten zu einer Siedlungskette bietet die besten Voraussetzungen für den öffentlichen Verkehr.

Die Erschließung durch den Verkehr im Umweltverbund, aber auch ökologische Lösungen für Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung sowie in der Wirtschaft machen das Siedlungsmodell umweltverträglich.

 


Literatur:

1) Die Bandstadt - Städtebauliche Vision oder reales Modell der Stadtentwicklung?, Wilhelm Kainrath, Picus Verlag, Wien 1997, ...........zurück

2) TAT-Orte - Gemeinden im ökologischen Wettbewerb; ein Projekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Urbanistik; Berlin 1997, ..........zurück


Tabelle:

Räumliche Verteilung der städtischen Einrichtungen in einer Siedlungseinheit

Standort Städtische Einrichtungen Technische Infrastruktur
im Zentrum zentrale Einrichtungen höherer Ausstattung:

Volks-, Hauptschule, höhere Schulen

Kirche, Gemeindeamt, Sozialstütz-punkt, Fachärzte, Apotheke..

Multifunktionelle Veranstaltungsräume (Kino, Theater, Ausstellungen, Volkshochschule, Sport)

Gastronomie, Hotel...

Haltestelle des öffentlichen Verkehrs, Mobilitätszentrale, Fußgängerbereich

(Hauptplatz und Wege)

Anlagen zur Sonnenenergienutzung (aktive und passive thermische Nutzung, Photovoltaik)

entlang der Hauptachse Einrichtungen des gehobenen Bedarfes:
- Handel, Kleingewerbe, ...
- Post, Banken ,Büros
- Gastronomie
Gehweg - Arkaden

Radweg

Sonnenenergienutzung

in Subzentren oder an einer Nebenachse Einrichtungen des täglichen Bedarfes:

- Handel (Nahversorger)
Kindergarten, praktischer --- Arzt und Zahnarzt, ...
- Büros, Gewerbehof, Telehaus...
- Fremdenpension, Gast- bzw. Kaffeehaus, Freizeiteinrichtungen, Versammlungsräume für Vereine ...

Gehweg - Arkaden

Radweg

Sonnenenergienutzung

flächig verteilt Wohnungen, teilweise Büros
ev. Wohnfolgeeinrichtungen, Grünflächen, kleine private Gärten, Freizeiteinrichtungen (kleine Sport-anlagen, Gemeinschaftsräume)
Geh- und Radwege

Sonnenenergienutzung

Am Stadtrand an der Achse Gewerbe, verträgliche Kleinindustrie

große Sportstätten (Hallenbad, Stadion)

Haltestelle des öffentliche Verkehrs, Geh- und Radwege, Parkplatz

Güterverteilzentrum Blockheizkraftwerk

am Stadtrand abseits der Achse Landwirtschaft, Wald; Park,
Naturraum
Geh- und Radwege
Windenergiepark

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