Was ist die Zukunft des Einkaufszentrums?

Ausschnitte aus der Rede Victor Gruens für die Züricher Studiengesellschaft für Bau- und Vekehrsfragen am 22.1.1974

 

Diese Frage kann von verschiedenen Interessenten, je nach ihren Belangen und Verlangen auf verschiedene Weise beantwortet werden. Für mich, dessen Interesse der Planung der menschlichen Umwelt gilt, bedeutet die Beantwortung eine große Verantwortung.

Diese Verantwortung erhöht sich noch durch den Umstand, dass ich als „Vater des Einkaufszentrums“ gelte, weil ich die Idee schon während des Krieges, also vor über dreißig Jahren entwickelte und publizierte, weil ich vor fünfundzwanzig Jahren die ersten großen regionalen Zentren entwarf und weil vor etwa zwanzig Jahren die ersten Prototypen sowohl des offenen als auch des geschlossenen Zentrums nach meinen Entwürfen entstanden.

Mit dieser Doppelverantwortung belastet, fühle ich mich verpflichtet, eine ehrliche, klare Antwort auf die Frage, „Was ist die Zukunft des Einkaufszentrums?“ zu geben. Sie lautet ganz unverblümt: „Das Einkaufszentrum hat keine Zukunft“. So wie Häuser, die auf Sand gebaut sind, geringe Aussicht auf Beständigkeit haben, so sind die Zukunftsaussichten des Einkaufszentrums trüb, weil es auf Öl gebaut ist. Es ist ein Kind des Automobilzeitalters, und die Götterdämmerung des Automobils muss die Götterdämmerung des Einkaufszentrums nach sich ziehen.

Ich bin mir dessen bewusst, dass diese Voraussage brutal klingt. Es könnte mir vorgeworfen werden, dass ich mich wie ein Rabenvater benehme, der sich um seine Nachkommenschaft nicht kümmert und seine Vaterpflichten vernachlässigt. Erlauben Sie mir ein paar Worte der Verteidigung. Ich habe die „Vaterschaft“ nie akzeptiert. Sie wurde mir durch weltweite Publizität in die Schuhe geschoben. Ich habe schon immer jede Verantwortung für Bastarde, die von Unbekannten durch Gewissenlosigkeit, Gewinnsucht und Verantwortungslosigkeit gezeugt wurden, energisch abgelehnt und bin deshalb nicht bereit, Alimente für sie zu bezahlen.

Schon als ich vor fünfzehn Jahren mein erstes Buch über das Thema schrieb, nannte ich es „Shopping Towns USA“, also „Einkaufsstädte“, und legte dar, dass ich von urbanen Elementen sprach, in denen alle städtischen Funktionen, miteinander verbunden, einen geeigneten Hintergrund für die Tätigkeit des Verkaufens und Einkaufens geben sollten. Ich betonte schon damals, dass jene wichtigen Planungsdurchbrüche, die in den Pionier-zeiten vor zwanzig Jahren gelungen waren, wie z. B. die Separierung der technischen „Unterstruktur“ von der menschlichen „Überstruktur“, welche die Gestaltung von Fußgänger-bereichen ermöglichte, erst dann von wirklicher Bedeutung sein würden, wenn diese neuen Errungenschaften und Methoden auf dicht verbaute urbane Gebiete, auf die Kerngebiete der Städte, übertragen werden würden.

Diese Aussage führte interessanterweise direkt zum ersten Planungsauftrag für die Gestaltung eines Stadtkerngebietes, nämlich des Stadtzentrums von Fort-Worth, Texas. Diesem Projekt, das nie ausgeführt wurde, folgten dutzende andere, die entweder realisiert oder in Ausführung begriffen sind, worauf ich gebührenfrei zum Vater der Fußgängerzonen ernannt wurde. Auch gegen diese Vaterschaft muss ich protestieren, weil auch die meisten ihrer Sprösslinge missraten sind.

Das Einkaufszentrum vergeudet nicht nur Öl, sondern auch Land und durch seine Auswirkungen auf die Gestaltung menschlicher Siedlungen alle anderen Güter der Natur, wie Luft, Wasser, Flora, Fauna, Rohstoffe und Energie. Diese Todsünde des Einkaufszentrums ist eine, die es mit vielen anderen Taten der Fehlplanung unserer Siedlungen teilt. Diese Taten sind „Sünden wider die Natur“, weil sie sowohl Elemente der außermenschlichen Natur als auch solche der menschlichen Natur zerstören. Das Einkaufszentrum ist einer der vielen Zerstörungsagenten der Städte und als solcher der Werte der Urbanität.