Nutzungsmischung

Nutzungsmischung als Beitrag zur ökologisch verträglichen Stadtentwicklung

Das Ziel einer ökologischen (nachhaltigen) Siedlungsentwicklung ist seit längerer Zeit in einer Reihe internationaler Vereinbarungen, wie der 1996 auf der UN-Konferenz in Istanbul beschlossenen Habitat Agenda , verankert und wurde von vielen Gemeinden übernommen. Die anerkannten Grundprinzipien dafür sind auch bereits länger Bestandteil nationaler Planungskonzepte:

Dezentrale Konzentration (Polyzentralität):

Dezentrale Konzentration

 
Standorte für Siedlungserweiterungen sollen auf mehrere kleinere Schwerpunkte verteilt und möglichst entlang von Siedlungs- oder Entwicklungsachsen angeordnet werden, deren Rückgrat leistungsfähige öffentliche Verkehrsmittel sind.

 

Kompakte Siedlungsform:

Kompakte Siedlungsform

 
Verdichtung und Erweiterung bestehender Siedlungsansätze zu Siedlungseinheiten sollen Versorgungseinrichtungen von städtischem Niveau tragfähig machen

 

Nutzungsmischung:

Nutzungsmischung

 
Nutzungsmischung in den Siedlungseinheiten soll eine ausgewogene Mischung von Wohnstandorten sowie unterschiedlichen Arbeits- und Bildungsstätten, Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen geplant werden.

 

Die Umsetzung dieser Grundprinzipien führt zu einer nachhaltigen Siedlungsstruktur mit den besten Voraussetzungen für ein nachhaltiges Verkehrssystem (Fußgänger-, Rad-, und öffentlicher Verkehr sowie Logistik für die Güterverteilung), die sich außerdem an den Anforderungen für die Nutzung erneuerbarer Energieträger, insbesondere für Solararchitektur orientieren soll. Das Zusammenwirken aller technischen und gestalterischen Innovationen soll die Ausprägung nachhaltiger "Lebensstile" der Bewohner/innen unterstützen.

Eine solche nachhaltige Siedlungsstruktur bildet eine attraktive Alternative zur derzeit üblichen, Ressourcen verschwendenden Siedlungsentwicklung:

Konzentration auf Ballungsräume, Suburbanisierung (Zersiedlung) und Trennung der Funktionen (hier reine Wohnsiedlungen, da Einkaufs- und Freizeitzentren auf der "grünen Wiese" und wieder weit weg davon Arbeitsplätze in großflächigen Gewerbegebieten).

Eine ausgewogene Nutzungsmischung leistet einen wesentlichen Beitrag zu einer hohen Lebensqualität für alle Bewohner:

  • sie trägt, in Verbindung mit einer ästhetischen Gestaltung, zu belebten und vielfältigen städtischen Räumen (Urbanität) bei
  • sie fördert, in Verbindung mit einer ausgewogenen Bevölkerungsstruktur, die gesellschaftliche Integration
  • sie ermöglicht kurze Wege im Alltag – Zugang zur Basisversorgung mit Gütern, Dienstleistungen und öffentlichen Einrichtungen für alle – und damit umweltverträgliche Verkehrslösungen

Nutzungsmischung kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen - innerhalb eines Stockwerks, eines Gebäudes, eines Häuserblocks oder eines Stadtteiles. Für ihre Vielfalt spielt die richtige Mischung verschiedener Einrichtungen für jede einzelne Nutzung eine wichtige Rolle – zum Beispiel im Handel (Teilbereich der Versorgungseinrichtungen) der Branchenmix (Lebensmittel-, Textil-, Schuh-, Papierwaren-, Buch-, Foto-, Elektro-, Metallwaren-, Sportartikel-, Möbelhandel usw.).

Der Einfluß der Nutzungsmischung auf die Weglängen und Verkehrsmittelwahl zeigt sich deutlich in Wien am Beispiel der Einkaufswege: der Fußgängeranteil für Einkäufe aller Warengruppen liegt in einigen Innenbezirken (6.-8. Bezirk) mit der höchsten Dichte von Handelsbetrieben bei rund 75 %, in schlechter ausgestatteten Außenbezirken (22. und 23. Bezirk) aber bei nur rund 40 %.

 

In einem interdisziplinären Arbeitskreis wurden Empfehlungen zur Nutzungsmischung erarbeitet:

  • Nutzungsmischung soll ein Grundprinzip der Siedlungsplanung sein, insbesondere bei Neubauvorhaben, aber auch in bestehenden Siedlungen (Erhaltung noch vorhandener attraktiver Nutzungsmischungen in historisch gewachsenen Stadt- und Dorfkernen, Ergänzung fehlender Nutzungen in jüngeren monofunktionalen Gebieten)
  • In Zusammenarbeit zwischen Stadt und Umlandgemeinden sollen die verschiedenen Nutzungen innerhalb einer Region aufeinander abgestimmt werden, insbesondere bei Entscheidungen über die Durchführung bzw. Standortwahl von Bauvorhaben mit größerem Einzugsbereich. Entsprechende Rahmenbedingungen sollten auch im Finanzausgleichs-gesetz zur Verteilung öffentlicher Mittel auf die einzelnen Gemeinden geschaffen werden.
  • Die Größe von Infrastruktureinrichtungen soll der Größe des versorgten Gebietes angepaßt sein. Insbesondere für Güter des täglichen Bedarfs sollte nach wie vor der fußläufige Einzugsbereich im Vordergrund der Planung stehen. "Megastrukturen" auf der grünen Wiese, die der Nahversorgung die Erwerbsgrundlage entziehen und die nicht motorisierten Teile der Bevölkerung benachteiligen, sollten nicht mehr errichtet werden. In neuen Wohngebieten soll die Nahversorgung von Anfang an verfügbar sein, um eine Gewöhnung der Kunden an nur mit dem Pkw erreichbare Geschäfte zu vermeiden.
  • Die Versorgung kleiner Dörfer soll durch innovative, flexible Formen des Einzelhandels sichergestellt werden (etwa durch Kombination von Lebensmittelhandel und Gaststätten, “Shop in Shop” Angebote, Nachbarschaftsläden, Direktvermarktung landwirtschaftlicher Produkte, mobile Läden).
  • Kurze Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz sollen durch eine feinkörnige Mischung von Wohnbauten und verträglichen Betrieben (deren Anzahl nimmt durch den Wandel zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft zu), Werkswohnungen in Betriebsnähe, Telehäuser in Wohnungsnähe (in denen an vernetzten EDV-Arbeitsplätzen Beschäftigte verschiedener, auch entfernt gelegener Firmen arbeiten) usw. ermöglicht werden. Eine möglichst vollständige, koordinierte Erfassung des Wohnungs- und Arbeitsplatzangebotes erleichtert deren Auswahl im Hinblick auf kurze Wege.
  • Kostendeckende Preise im Verkehr sind eine wesentliche Rahmenbedingung für nachhaltige Siedlungsentwicklung - wenn die bisher externen Kosten des Autoverkehrs (Unfallfolgekosten und Kosten durch Umweltschäden) von den Verursachern getragen werden müssen, werden durch die höheren Kosten lange Autofahrten unattraktiver und das Interesse der Verkehrsteil-nehmer an kurzen und möglichst umweltschonend zurückgelegten Wegen wird erhöht. Angebote in der Nähe zum Einkaufen oder für die Freizeit würden verstärkt angenommen werden.
  • Bewußtseinsbildung soll verstärkt die Vorteile der Nutzungsmischung betonen (wie geringere Kosten der Gemeinden für Straßen- und Leitungsinfrastruktur, Förderung von Urbanität), um alle beteiligten Entscheidungsträger für die Umsetzung von Maßnahmen zur Nutzungsmischung zu gewinnen. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Leitbilder sollten sich so verändern, daß ökologisch verträgliches Handeln durch Anerkennung belohnt und damit ein Anreiz zur Nachahmung geschaffen wird.

 

Ernst Lung, Franz Skala, Beitrag für die Ökowoche 2000 an der Wirtschaftsuniversität Wien